
Offensichtlich ist in vielen westlichen Gesellschaften die Angst vor negativen Folgen einer starken Migration hoch.
Lange Zeit haben die etablierten Parteien und Regierungen Bedenken, Vorbehalte bis hin zur strikten Ablehnung nicht wirklich ernstgenommen, die gesetzlichen Regelungen in einem Staatenverbund wie der EU mögen zusätzlich dazu beigetragen haben, dass das Thema für in der Verantwortung stehende Politiker schwer zu handhaben war.
In der Sache hat sich viele Jahre lang wenig geändert, anschaulich das Beispiel von UK, wo das Migrationsthema bei der Brexit-Abstimmung eine große Rolle gespielt hat, die nachfolgenden Regierungen jedoch erst ab 2024 die Zahlen merklich gedrückt haben.
So kam es, dass sich viele Emotionen angestaut haben und das Thema sich hervorragend für Populisten eignete, Menschen hinter sich zu versammeln, um letztendlich eine autoritäre Agenda zu verfolgen.
Neben den bekannten sozialpsychologischen Faktoren, die zur Ablehnung von Migration führen (Belastung der Sozialsysteme /Verursachung von Kosten, Verknappung von Arbeitsplätzen, fremde Kulturtechniken/Religionen, andere Wertesysteme) mag ein Blick in unsere Menschheitsgeschichte noch zusätzliche Aspekte beitragen.
Durch die Paläogenetik haben wir in Europa ein ziemlich gutes Bild von den Migrationsströmen in den letzten Jahrtausenden. Ein empfehlenswertes Buch ist „Who we are and how we got here“ von David Reich (Oxford University Press 2018).
Migrationsdruck war immer da, zum Teil mit dramatischen Auswirkungen, die Zeit der Völkerwanderung ist das jüngste Beispiel von weitreichenden Veränderungen der Populationen auf einem sehr großen Gebiet durch Druck von außen.
Vor diesem Hintergrund mag es so etwas wie ein kollektives Gedächtnis geben, das in einem Gemeinwesen die Angst vor Überrannt-Werden und Überfremdung lebendig hält.
Aus dieser Perspektive ist das Unwohlsein von deutlichen Bevölkerungsteilen bzgl. schlecht kontrollierter bzw. schlecht kontrollierbarer Migration sehr ernst zu nehmen. Ein gefühlter, auch projizierter Kontrollverlust hat sicherlich ein sehr hohes Mobilisierungspotential für Akteure, die hier Abhilfe versprechen. Ein attributierter Kontrollverlust bei den Verantwortlichen führt sehr schnell zu einer in dieser Logik zugeschriebenen Delegitimierung ihrer Position. Hier ist sicherlich ratsam, durch entsprechendes Handeln die Zuschreibung eines Kontrollverlustes deutlich zu erschweren.
Darüber hinaus zeigt uns unsere Menschheitsgeschichte noch etwas anderes. Von außen betrachtet, gibt es alle Spielarten, wie mit dem Migrationsdruck umgegangen werden konnte.
Es ist einfach alles drin, von kompletter Assimilation der Neuankömmlinge bis hin zum Bevölkerungsaustauch. Ein Beispiel für in großem Maße erfolgtem Bevölkerungsaustausch ist das Einströmen der Yamnaja in der Bronzezeit aus dem Süden der heutigen Ukraine nach Europa, der heute durch die Paläogenetik und die Verbreitung der indogermanischen Sprachen sehr gut nachvollzogen werden kann (noch bei den modernen Bevölkerungsgruppen heute beträgt der Anteil Yamnaja DNA im Genom in Mittel- und Nordeuropa bis zu 50%, bei Südeuropäern18-33%) .
Natürlich versucht die Wissenschaft herauszufinden, was indem einen Fall zur Assimilation, in dem anderen Fall zum Austausch führte.
Ein wichtiger Aspekt mag hierbei sein, inwiefern die Neuankömmlinge eine überlegene Kulturtechnik mitbringen.
Bei den Yamnajas wird angenommen, dass sie in der Lage waren, das Rad zu nutzen, Wagen ziehen zu lassen, Pferde zu reiten und dadurch große Schaf- und Rinder-Herden zu halten (D W Anthony, The Horse, the Wheel and Language: How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World (Princeton, NJ Princeton University Press, 2007).
Mit diesen Kulturtechniken waren die Yamnajas deutlich produktiver, das Wirtschaften veränderte sich grundlegend, die in den verschiedenen Gebieten sehr unterschiedlichen dörflichen Lebensweisen wurden aufgegeben zugunsten einer mobilen Lebensweise.
Wenn wir nun diese Hypothese festhalten, die Bronzezeit verlassen und uns die heutige Lage in Europa und Deutschland vor Augen halten, so dürfen wir besorgt sein.
Ganz Europa hat es bislang nicht geschafft, neue Schwergewichte im Tech-Bereich zu schaffen, mit neuen Geschäftsmodellen große Firmen aufzubauen. Diese sind in den USA beheimatet, und wie zum Beweis, dass es doch hätte möglich sein können, in China.
Wir tun uns ökonomisch und emotional schwer mit der Digitalisierung, dem maschinellen Lernen, der künstlichen Intelligenz.

Innovative Asset-arme, datengetriebene Geschäftsmodelle liegen uns fern, wir denken schon an regulieren, bevor wir etwas Substantielles in der Hand haben.
Da kommt der Weckruf der Verleihung des Nobelpreises für die Theorie der kreativen Zerstörung gerade richtig. Es reicht eben nicht, Weltmeister im Erfinden zu sein. Kultur und Institutionen müssen im Zusammenspiel Innovationen in einer Gesellschaft begünstigen, das innovative Unternehmertum braucht diese unterstützenden Rahmenbedingungen.
Die von den Laureaten beschriebene vertikale Innovation ist transformativ für eine Volkswirtschaft, sie entsteht jedoch nur da, wo sie erwünscht ist. Da wo sie nicht erwünscht ist, kommt sie allerdings trotzdem, jedoch nicht als Freund, sondern als Dominator.
Die von außen kommende Innovation ist eben nicht einfach kontrollierbar, durch diesen letztendlichen Kontrollverlust ist die Gesellschaft den Umbrüchen eher ausgeliefert als dass sie mitgestalten oder zumindest abfedern kann. Von außen betrachtet, ist es schon bemerkenswert, dass sich in unseren Gesellschaften das Migrationsthema so in den Vordergrund geschoben hat und unsere nachlassende Innovationsfähigkeit, die offensichtlich ganz stark unsere kulturelle Identität beeinflusst, vielleicht sogar gefährdet, nahezu nicht von den relevanten gesellschaftlichen Kräften aufgenommen wird.
Beides sind Themen, die eine potentielle Disruption adressieren, mit der Möglichkeit eines Kontrollverlusts, der per se ein hohes Mobilisierungspotential hat.
Allerdings segelt das Migrationsthema bei den diskutierten Maßnahmen unter der Ziel-Überschrift „Bewahren/Abschotten“, während das Innovationsthema eher unter die Überschriften „Gestalten/Öffnen/Aufbruch“ fällt. Das letztere ist gesellschaftlich ungleich anstrengender. Die Versuchung erscheint groß, auch beim Innovationsthema sich auf ein Bewahren zu kaprizieren.
Das kann und darf nicht unsere Zukunft sein, lasst uns Lust an der kreativen Zerstörung nach Mokyr, Aghion und Howitt entwickeln und zusammen einen Aufbruch wagen.
